Fabrikbesetzungen INNSE und Officine
INNSE
Einen entschlossenen Kampf kämpfen die 49 ArbeiterInnen der Maschinenfabrik Innse seit neun Monaten in Mailand. Sie stehen mit UnterstützerInnen vor den Fabriktoren, um den Abtransport von Maschinen durch den Besitzer Sylvano Genta zu verhindern. Zuletzt am Dienstag, den 10. Februar um nachts um drei Uhr kam es zum bisher letzten Überfall durch die Polizei und Genta, die durch ein schwächer besetztes Tor mit einem Bagger und LKW nach dem Wegräumen von Barrikaden in die Fabrik eindringen und einige Maschinen wegschaffen konnten. Dabei wurden drei Arbeitern die Nasenbeine gebrochen, auch sechs Polizisten erlitten Verletzungen durch Schraubenschlüssel und Steinwürfe.
Genta hatte vor etwas drei Jahren die Maschinen für einen Spottpreis von einer staatlichen Auffanggesellschaft abgekauft mit dem Versprechen, die Produktion weiter zu führen. Das Fabrikgelände gehörte bereits der Immobilienfirma AEDES, die nur darauf wartet, daß die Maschinen abtransportiert und die Werkhallen geräumt sind, um das Fabrikgebäude abzureißen. Das Gelände soll für die Expo 2015 verwendet werden.
Die Innse-ArbeiterInnen sprechen von einem dreiköpfigen Ungeheuer, gegen das sie kämpfen müssen: Genta als Besitzer der Maschinen, AEDES als Besitzerin des Fabrikgeländes und die Mailänder Behörden, die mit den Spekulanten unter einer Decke stecken. Bis Ende Februar besteht eine Art Waffenstillstand, d.h. weitere Angriffe von Genta und der Polizei sind eher unwahrscheinlich, weil Verhandlungen wegen der Besitzverhältnisse des Geländes mit der maroden Immobilienfirma AEDES laufen.
Früher arbeiteten bei Innse-Presse, wo Walzwerke und Pressen hergestellt wurden, 2 200 Beschäftigte - vor neun Monaten hatte dann ein kärglicher Rest von 50 KollegInnen den Kampf gegen die endgültige Schließung aufgenommen. Einer ist inzwischen durch den Streß an seinem Herzleiden gestorben. Nachdem sie am 31.5.08 erfahren hatten, daß Genta die Firma schließen wollte, besetzten sie ihre Fabrik und vertrieben die überraschten acht bodyguards, die Genta in der Fabrik postiert hatte. In eigener Regie nahmen sie die Produktion auf - für dreieinhalb Monate. Sie bekamen ihre Aufträge, indem sie die hergestellten Maschinen erst auslieferten, nachdem sie neue Aufträge erhalten hatten.
Durch einen Polizeiüberfall, als nur wenige in der Fabrik waren, wurden sie vertrieben. Sie errichteten vor dem Tor ein Camp, um zu verhindern, daß Genta die Maschinen zwecks Verschrottung rausholt, damit die Fabrik geschleift werden kann. Bei Innse in Mailand spielt sich das ab, was Marx im entstehenden Industriekapitalismus von den Gewerkschaften erhoffte, den Guerrillakrieg zwischen Kapital und Arbeit bis zur Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalsherrschaft selbst voranzutreiben. (MEW, Bd. 16).
Diese Rolle einzunehmen sind unsere Gewerkschaften unfähig, ob in Deutschland, Schweiz oder Italien. Wir befinden uns im Häuserkampf. Einigen verzweifelten und entschlossenen Belegschaften kommt es zu, den Guerillakrieg zu führen, manchmal mit Unterstützung einiger echter Gewerkschaftsfunktionäre, manchmal mit Unterstützung aus der Bevölkerung, manchmal beginnen sie den Guerillakrieg, ganz auf sich allein gestellt. Die Belegschaften führen diesen Kampf allerdings nicht zwecks der Beseitigung des Systems der Lohnarbeit und Kapitalsherrschaft selbst sondern schlichtweg, um im Kapitalismus zu überleben.
Staat und Polizei sind keine neutralen Kräfte über dem Kapital und der Arbeiterklasse sondern Partei für das Kapital. In der Geschichte des industriellen Kapitalismus bedeutete das, daß die Produktionsmittel als Eigentum der Kapitalisten geschützt wurden. Auf diese Weise entstand das industrielle kapitalistische System. Bei Innse hat die Praxis des Staates und der Polizei jetzt die Entindustrialisierung, die Verschrottung der Maschinen zur Folge. Schutz des Eigentums geht vor Schutz der Produktionsanlagen. Der industrielle Kapitalismus beginnt, sich selber aufzufressen.
Staatenübergreifende Solidarität. Der Kampf der 50 Innse-ArbeiterInnen war deshalb besonders schwer, weil sie erst nach fünf Monaten größere Aufmerksamkeit, Solidarität aus Mailand und Umgebung erhalten haben. Und das in Mailand, das früher viele Arbeiterkämpfe erlebt hat! Die Unterstützung von KollegInnen, die auch von Entlassung bedroht sind, von LeiharbeiterInnen, auch von Jugendlichen und StudentInnen und sozialen Zentren hat in der letzten Zeit aber zugenommen. Um so wichtiger war für die Innse-KollegInnen ihr dauerhafter und intensiver Kontakt zu den BesetzerInnen der Eisenbahn-Werkstätten Officine in Bellinzona (Südschweiz).
Officine
Auch die Officine mit ihren 430 Beschäftigten sollte geschlossen werden (Mai 2008). Die Belegschaft war auf diesen Angriff vorbereitet und besetzte zur Überraschung des Arbeitgebers, der Schweizer Bundesbahn, das Werksgelände. Aufgrund ihrer Geschlossenheit und der breiten Unterstützung aus der ganzen Provinz mußte der Arbeitgeber nachgeben: Ein vollständiger Sieg, keine einzige Entlassung! Wichtig war die starke Unterstützung von drei Sekretären der Gewerkschaft Unia.
Die Unterstützung war so groß, weil der Kampf bei Officine für viele SchweizerInnen endlich eine Gelegenheit war, ihre Wut über die bisherigen Angriffe von Staat und Kapital auszudrücken. Die Schweiz galt in der Nachkriegszeit als das sozialfriedlichste Land Europas. Zu Recht wird der Kampf bei Officine der Befreiungsschlag von Bellinzona genannt. Die Arbeitsplatzgarantie, ursprünglich nur bis 2010 geltend, ist allein durch die Drohung mit neuen Warnstreiks bis 2013 verlängert worden.
Die Rechte, die sich die Belegschaft mit ihrem Streikkomitee erstritten hatten, nehmen sie nach der Arbeitsaufnahme auch weiter wahr. Dies läßt sich ohne Weiteres als Ansatz von Doppelherrschaft bezeichnen! So findet jeden Freitag eine Vollversammlung statt und die Frauengruppe hat ein Recht auf die Nutzung der Hallen. (Während der Besetzung haben sich die Ehefrauen und Töchter der Besetzer zu einer Unterstützungsgruppe zusammengeschlossen).
Etwas sehr Wichtiges ist während des Kampfes entstanden, ein Unterstützungskomitee Netzwerk für eine kämpferische Bewegung der ArbeiterInnen, das seine Arbeit fortsetzt und seine Aufgabe ausgeweitet hat, indem es allen streikenden und besetzenden Belegschaften des Landes seine Hilfe anbietet. In diesem Unterstützungskomitee macht auch das Streikkomitee von Officine mit.
Insgesamt haben sich darin über 200 AktivistInnen zusammengeschlossen, etliche von ihnen auch Mitglieder linker Gruppen. Durch die Kraft und Ausstrahlung des Arbeitskampfes ist bei den UnterstützerInnen eine Haltung entstanden, die das Hervorheben von eventuellen Organisationszugehörigkeiten und Unterschieden zurückdrängt. Diese Zurückhaltung bei den eigenen Zielen beruht einerseits auf der Einsicht und dem guten Willen der linken GenossInnen vor allem aber auch auf de rigorosen Haltung des Streikkomitees: Keine politischen Etiketten!
Das entstandene Unterstützungskomitee/Netzwerk ist ein loser Zusammenschluß, der einen Raum für Praxis geöffnet hat. Dies ist ein erfolgversprechender Ansatz bei der Herausbildung einer neuen Arbeiter- und Widerstandsbewegung. Leider ist so ein Ansatz mit dieser Wirkmächtigkeit in Deutschland zur Zeit nicht denkbar!
Wie erwähnt, war in Bellinzona die breite Unterstützung aus der Bevölkerung für das Gewinnen des Kampfes wichtig, die einmal auf der Bekanntheit des Werkes in der Provinz beruhte und zum anderen gewannen die BesetzerInnen die Sympathie der Bevölkerung, weil endlich jemand aufstand und kämpfte. Die große Unterstützung war aber regional auf die italienisch sprechende Bevölkerung der Südschweiz beschränkt (Tessin). Es ist aber nicht gelungen, den Kampf über die Alpen in die Deutschschweiz zu tragen. Im Tessin aber war die Stimmung derart, daß sogar Kirche, Kommunalpolitiker und Sozialdemokraten den Arbeitskampf unterstützen mußten. Gegen diese Konstellation konnte sich die Schweizer Bundesbahn nicht durchsetzen. Entscheidend waren aber die BesetzerInnen und ihr Streikkomitee, die diese Konstellation für sich nutzen konnten!
Ähnliche Situationen, viel Sympathie in der Bevölkerung und große Unterstützung in der Stadt bzw. in der Region hat es in Deutschland auch einige Male gegeben:
- beim GDL-Streik vor einem Jahr. Jedoch war die GDL-Führung nicht fähig und nicht willens, diese Sympathie in der Bevölkerung, sogar bei einem großen Teil der BahnfahrerIinnen für sich politisch zu nutzen.
- noch deutlicher war es vor drei Jahren beim AEG-Streik in Nürnberg. Die Stimmung in Nürnberg dürfte ähnlich gewesen sein wie in Bellinzona, im Tessin. Nur gab es in Nürnberg mit dem BR-Vorsitzenden Dix, dem übrigen Betriebsrat und den beteiligten Hauptamtlichen (z.B. dem 1. Bevollmächtigten Wechsler) keine Zusammensetzung, die etwas Ähnliches aus der Situation hätte machen können wie es in Bellinzona gelungen ist.
Es gab nur eine kleine organisierte Gruppe im Werk, die diese Situation überhaupt nicht ändern konnte. (Siehe das Buch: Wir bleiben hier. Dafuer kaempfen wir! Akteure berichten über den Arbeitskampf bei AEG/Electrolux in Nürnberg.)
Die KämpferInnen von Innse brauchen finanzielle Unterstützung: Geldsammlungen können wie folgt überwiesen werden:
- Kontoinhaber: Ass.Cult. Robotnik Onlus
- IBAN: IT51 0 0760101600000022264204
- BIC: BPIITRRXXX
Unbedingt immer mit dem Vermerk: Lotta operai INNSE
Eine detaillierte Beschreibung dieser beiden Kämpfe stehen in den beiden Berichten der Broschüre: Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf . Eine Studie aktueller Beispiele. (63 Seiten).