Sie sind hier: Startseite Blogs Alles ganz normal... oder nicht? 2012 Februar 23 Kommunismus vs. Kapitalismus (2. Runde)

Kommunismus vs. Kapitalismus (2. Runde)

von Heidi — Letzte Änderung 23.02.2012 14:32
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Nein, keine Sorge, ich hole jetzt nicht die zerschlissene, mottenzerfressene, rote Hammer-und-Sichel-Fahne vom Dachboden. Die will nun wirklich keiner mehr sehen. Und das alte, verwaschene Che-Guevara-T-Shirt ist mir ohnehin längst zu eng geworden, sowohl im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne.

Machen wir erst einmal um eine kurze Bestandsaufnahme. Wie verlief der Kampf Kapitalismus vs. Kommunismus bis jetzt? Im Kalten Krieg, also bis Ende der 80er Jahre, waren die Fronten klar definiert: Hier herüben im Westen die Kapitalisten, da drüben im Osten die Kommunisten. Bei uns im "Goldenen Westen" trieb sich allerlei rotes Gesindel herum, natürlich gesteuert von der Kommunistischen Internationale (Komintern). Ja, ich gebe zu, von denen war ich auch mal ganz entzückt und ich schwenkte so ein rotes Fähnchen, um meine Solidarität mit dem unterdrückten, ausgebeuteten Proletariat zu bekunden.

Mein Vater, Gott hab ihn selig, machte mich darauf aufmerksam, dass bei uns ja, genau besehen, gar niemand unterdrückt oder ausgebeutet wurde. Und da war was dran. Wir waren gewiss nicht reich, aber wir hatten immer genug zu essen und was Ordentliches zum Anziehen. Und immerhin, ich konnte meine rote Fahne schwenken, ohne hinter Schloss und Riegel zu verschwinden. Den Verwandten im real existierenden Sozialismus ging es wesentlich schlechter.

Der häufig geäußerten Aufforderung "Dann geh doch nach drüben!" leistete kaum jemand Folge. Wir blieben alle doch lieber hier bei den *PIEP* Kapitalisten.

Schließlich kam es wie es kommen musste: Der Ostblock brach zusammen, die Berliner Mauer wurde abgerissen, das westliche System hatte gesiegt. Freiheit, Demokratie und Wohlstand für alle! Darauf ein dreifach Hoch!

Naja, bloß dass damit die Geschichte noch nicht zu Ende ist. Die ging ja bekanntlich noch weiter. Wie sieht es jetzt aus, gut zwei Jahrzehnte nach dem Ende der "roten Gefahr"? Hat sich zusammen mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem auch überall die Demokratie durchgesetzt, wie es sich gehört?

Schauen wir erst mal nach Russland. Der Russe war ja der Kommunist schlechthin, der Bolschewist vom Dienst! Nun, die Wirtschaft hat sich ganz schön gemausert. Eingesperrt sind die Russen nicht mehr, sie dürfen reisen, wohin sie wollen - wenn sie es sich denn leisten können. Aber ist nun ein gewisser Wladimir Putin wirklich so viel demokratischer als ein gewisser Wladimir Uljanow, genannt Lenin?

Nun mal ein Blick nach Ungarn, wo der Kommunismus ebenfalls den Bach runtergegangen ist. Ich möchte Victor Orban nicht gerade als Demokraten par excellence bezeichnen! Von Pressefreiheit hält der bekanntlich nicht besonders viel.

Schließlich noch ein Abstecher in den Fernen Osten, nach Vietnam. Ja, das ist da, wo dieser Typ mit dem Ziegenbärtchen sein Unwesen trieb, der, bei dessen Namen man unwillkürlich "Gesundheit!" sagen wollte: Ho Tschi Minh. Auch in Vietnam hat der Kapitalismus Fuß gefasst. Die Wirtschaft wächst in einem Tempo, von dem wir in Europa nur träumen können. Und der Tourismus kommt langsam in die Gänge.

Aber es gibt in Vietnam nach wie vor nur eine einzige Partei, jegliche Opposition wird im Keim erstickt. Das muss so sein, denn ausländische Investoren, sprich: Kapitalisten, wünschen Stabilität und langfristige Perspektiven. Nicht zu vergessen die herrlich niedrigen Löhne! Also lieber kein demokratisches Mehrparteiensystem, sonst laufen - Gott bewahre! - irgendwann in Vietnam die Gewerkschaftler frei herum und organisieren Protestaktionen wir hier in München bei NSN.

Und überhaupt, was soll denn der Chinese denken, wenn direkt vor seiner Haustür die Demokratie ausbricht? Womöglich ist das ansteckend, igitt!

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Gleichung "Marktwirtschaft ist gleich Demokratie" geht leider nicht auf!

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(3) Kommentare

Anonymer Benutzer 24.02.2012 17:08
"Die Gleichung "Marktwirtschaft ist gleich Demokratie" geht leider nicht auf!"
Genau so ist es. Diese Gleichsetzung ist reine Ideologie.

Auch der Kapitalismus darf nicht ideologisch begriffen werden, sondern instrumental, wie ein Asiatischer Politologe schreibt: http://www.ftd.de/[…]/60166202.html Der Kapitalismus (insbesondere in der Form des sozialen Marktwirtschaft)ist für ihn nur ein Werkzeug, um Wohlstand zu erzeugen, am besten für Alle. (INTR)
Heidi 26.02.2012 15:33
Na so eine Überraschung, da hat doch glatt jemand einen Kommentar zu meinem Blog geschrieben! Juchuuu! Jabba-dabba-duuu!<br />
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Die zitierte Gleichung ging übrigens noch nie auf. Das war auch während des Kalten Krieges nur eine schöne Illusion. Wir hatten es hier in der BRD wirklich gut, aber das war nicht etwa typisch für ein antikommunistisches Land. In Spanien wütete General Franco, und als in Chile der "böse Kommunist" Salvador Allende gestürzt wurde und General Pinochet sich an die Macht putschte, erging es den Chilenen auch nicht gerade besser als seinerzeit den Russen unter Stalin.<br />
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Fazit: Wenn wir unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung erhalten wollen, dürfen wir uns nicht auf den alten abgedroschenen Antikommunismus verlassen. Die größte Gefahr kommt heute gewiss nicht von ein paar versprengten, unverbesserlichen Rotgardisten! Meiner Meinung nach ist die größte Gefahr die sture Konzentrentation auf rein wirtschaftliche Fragen, ohne den gesamten politischen und gesellschaftlichen Kontext zu beachten. Und genau das geschieht heute immer öfter.
Heidi 27.02.2012 20:24
Und wenn seitens der Weltbank mal Kritik geäußert und eine Reform gefordert wird, dann sieht die Liste der gewünschen Verbesserungen so aus wie in diesem Artikel:

http://www.spiegel.de/[…]/0,1518,817735,00.html

Von demokratischen Wahlen ist da nirgends die Rede! Dieses Thema spielt überhaupt keine Rolle. Nun sollte aber auch wirklich jeder kapieren, dass Kapitalismus und Demokratie zwei Paar Schuhe sind!