Riskiert Wowereit einen politischen Streik bei der S-Bahn?
Politische Streiks in Deutschland sind ein echtes Insiderthema, dessen Bedeutung selbst in der politisch interessierten Öffentlichkeit im nicht mehr messbaren Promillebereich anzusiedeln sein dürfte. Lucy Redler hat eine Dissertation dazu geschrieben, einige Gewerkschaftslinke debattieren auf langweiligen Konferenzen darüber und ein bekannnter Berliner Anwalt, der immerhin schon zwei Grundsatzurteile beim Europäischen Menschenrechtshof zugunsten von Arbeiternehmerinnen erstritten hat, verkündet frohgemut, dass er gerne ein drittes Präzidenzurteil zum politschen Streik erwirken würde, wenn sich denn nur eine Belegschaft fände, die es einfach mal macht.
Wenn irgendwo eine Kamera steht, ist Wowi nicht weit. Man muss Klaus Wowereit nicht sympathisch finden, aber den Vollblutpolitiker kann man ihm nicht absprechen. Selbst das Desaster um die kurzfristig um 9 Monate verschobene Eröffnung des neuen Großflughafens BBI hat er irgendwie unbeschadet überstanden. Im gewissen Sinn schon eine reife Leistung, wenn man bedenkt, für welche im Vergleich dazu geradezu Lapallien anderswo in der Republik Politiker schon zurücktreten mussten.
Doch jetzt spielt die Berliner SPD unter ihrem Medeinstar Wowereit und seinem Intimus Müller mit dem Feuer, weil sie partout meinen, die Ausschreibung des S-Bahn-Betrieb mit der Brechstange durchsetzen zu müssen. Politisch glauben die Privatisierungsfreunde in der SPD alle Trümpfe in der Hand zu haben. Das S-Bahn-Volksbegehren ist erst mal durch den Gang vors Verfassungsgericht gestoppt, die Sozialpartner von EVG und GDL sind im Boot, das Ansehen der S-Bahn in der Öffentlichkeit liegt nach 3 Jahren Notfallfahrplänen sogar noch unter dem von Berufspolitikern und dem ewigen Nörgler in den eigenen Reihen vom linken Flügel aus Kruezberg sind durch den Koaltionsvertrag schachmatt gesetzt. O-Ton Michael Müller: "Solange wir bei Wahlen nicht 50 Prozent der Stimmen haben, 2016 ist es bestimmt so weit, wird auch die SPD Kompromisse machen müssen."
Nur einen Spieler hatten die Realpolitiker nicht auf dem Schirm - die Beschäftigten der Berliner S-Bahn. Die sind nämlich nicht nur sauer auf ihre Chefs und die Geschäftsführung, abgegessen von den gewerkschaftlichen Sozialpartnern und passiven Stellvertretern im Betriebsrat, sondern haben angefangen sich selbst zu organisieren. Nun macht ein Aktionsausschuss allein noch keinen politischen Streik. Aber die Gegenfrage darf man schon stellen: In wievielen Betrieben in Deutschland gibt es aktionsfähige Strukturen von KollegInnen, die weder vom Managment noch den sozialpartnerschaftlichen Funktionären der Gewerkschaft kontrolliert werden und die für eigenständige Kampfmaßnahmen mobilisieren? Bei Netzwerk IT sind wir ganz gut verdrahtet in der Republik und uns fällt dazu derzeit nur ein Betrieb ein: die Berliner S-Bahn! Die S-Bahner haben beim Lokführerstreik 2011 bewiesen, dass sie innerhalb von 2 Stunden den Betrieb lahmlegen können. Wenn demnächst die 800 Unterschriften für eine gemeinsame Betriebsversammlung im Fall der Ausschreibung beim Betriebsrat vorgelegt werden, dürften die letzten Zweifel über den Rückhalt in der Belegschaft und die Aktionsfähigkeit der S-BahnerInnen zerstreut sein. Dann bleibt die große Frage: Riskiert Wowereit einen politischen Streik bei der S-Bahn?