Zugführer wegen fahrlässiger Tötung verurteilt
Das Amtsgericht Niebüll wirft dem Zugführer Michael K. vor, er habe die Beladeanweisung der Deutschen Bahn für den Sylt Shuttle nicht befolgt. Die Anweisung sieht vor, dass Lastwagenanhänger mit weniger als zwei Tonnen Ladung ab Windstärke sechs mit Spanngurten zu sichern sind. Am Tag des Unglückes, dem 3.September 2009, war mit einer Windstärke von sechs bis acht Beaufort zu rechnen. Der dann vom Zug gewehte Anhänger war mit 1,475 Tonnen beladen, hätte als nach Vorschrift mit Spanngurten gesichert werden müssen.
Der Angeklagte Zugführer hatte den Fahrer des Lastwagens gefragt, ob dessen Anhänger beladen sei. Dieser antwortete: "Voll beladen". Diese Antwort war auch auch nicht falsch, aber die 88,2 Kubikmeter Dämmplatten waren nicht schwer genug. Vor der Fahrt über den Hindenburgdamm nach Sylt werden die LKWs nicht gewogen, abgerechnet wird nach Länge.
Der Richter bemängelte dann auch: "Ich halte das Regelwerk der Deutschen Bahn für unzureichend. Es fehlt eine klare Anweisung, wie das Gewicht der Lastwagen und Hänger festgestellt werden muss."
Für das Regelwerk muss sich niemand verantworten. Das Gericht hat auch nicht untersucht, ob eine halbe Tonne mehr Gewicht den Anhänger auf dem Zug gehalten hätte. Angeklagt und verurteilt wurde alleine der Zugführer.
Weitere Informationen beim NDR und im Wedel-Schulauer Tageblatt
Dienst nach Vorschrift.
Jede Eisenbahngesellschaft hat zum Beispiel ihre Vorschriften in einem netten kleinen Buch, das jeder Angestellte bekommt. Dieses Buch enthält die Anweisungen, nach denen der Lokführer und der Heizer jeden Teil der Maschine prüfen müssen, bevor sie aus dem Lokschuppen fahren. Es schreibt vor, dass der Bremser die ganze Länge des Zuges abschreiten und jeden Waggon prüfen soll, um sicher zu sein, dass er in gutem Zustand ist. Es schreibt vor, dass der Bahnhofsvorsteher dieses und der Telegraphist jenes tun soll, und in diesem kleinen Buch klingt das alles sehr schön. Aber nimmt man die Vorschriften und vergleicht sie mit dem Fahrplan, dann sieht man, wie absolut unrealistisch die ganze Sache ist. Wozu ist es dann geschrieben?
Angenommen, ein Unfall ereignet sich: ein Lokführer, der 36 Stunden gearbeitet hat, übersieht ein Signal am Gleis, und viele Menschen sterben. Ein Untersuchungsausschuss kommt zusammen, um die Verantwortung festzustellen. Wen trifft es? Natürlich diesen armen Lokführer, der sich nicht an die Vorschriften gehalten hat. Er ist der Mann, an dem die Verantwortung hängen bleibt. Die Gesellschaft wäscht sich die Hände in Unschuld und sagt: »Wir sind nicht verantwortlich, unser Angestellter war fahrlässig. Hier sind unsere Vorschriften.« Mit Hilfe dieser Vorschriften können sie die Verantwortung für jeden Unfall irgendeinem armen Teufel anhängen, wie jenem Lokführer, der, als er nach einem furchtbaren Unfall verhaftet wurde, sagte: »Ja, aber wenn ich den Zug innerhalb einer bestimmten Zeit nicht hereingebracht hätte, hätte ich unter dem neuen Management auf der New Haven-Linie meinen Job verloren.«
In Europa gibt es diese Art von Vorschriften auch. So wurde in Frankreich nach einem Unfall in einem Bahnhof der Bahnhofsvorsteher verantwortlich gemacht. Die Bahnhofsvorsteher waren aber in der Eisenbahnergewerkschaft organisiert und wendeten sich an die Gewerkschaft, damit etwas unternommen werde. Die Gewerkschaft riet ihnen, an die Arbeit zurückzugehen und sich wortwörtlich an die Vorschriften zu halten. Wenn dort die einzige Ursache für Unfälle läge, würde es hinterher keine mehr geben. Sie gingen also an die Arbeit zurück. Wenn nun ein Mann zum Schalter kam und eine Fahrkarte zu irgendeinem Ort verlangte, die soundsoviel kostete, der Mann aber mehr als diesen Betrag hinlegte, dann sagten sie ihm: »Wir können Ihnen kein Wechselgeld geben, die Vorschriften besagen, dass jeder Fahrgast den abgezählten Betrag bereithalten muss.« Das war der erste Schritt. Nachdem die Leute nun aufgeregt herum gerannt waren und den passenden Betrag zusammen hatten, kriegten sie ihre Fahrkarten und konnten in den Zug steigen. sobald dann der Zug anscheinend startbereit war, kletterte der Lokführer heraus, gefolgt vom Heizer, und dann begannen sie, jeden Bolzen und jeden Teil der Maschine zu untersuchen. Der Bremser kam herunter und begann, alles vorschriftsgemäß zu kontrollieren. Die Fahrgäste wurden unruhig. Der Zug stand so über anderthalb Stunden da, und sie waren im Begriff auszusteigen. An der Tür fing sie ein Angestellter mit der Bemerkung ab: »Es verstößt gegen die Vorschriften, wenn Sie den Zug verlassen, bevor Sie Ihr Ziel erreicht haben.« Innerhalb von drei Tagen war das ganze französische Eisenbahnsystem so vollständig heruntergekommen, dass sie den betreffenden Bahnvorsteher freisprechen mussten.