Geschichten die das Eisenbahnerleben schrieb
Unter dem Titel "Reise nach Absurdistan" hat der Lokführer Andreas Kühn aus Stralsund im Dezember 2005 seine Berufs- und Lebenserfahrungen auf 77 Seiten veröffentlicht, nachdem er die DB unter dem Druck der Privatisierung verlassen hat.
"Reise nach Absurdistan - eine zynische Geschichte zu unbequemen Wahrheiten" hat Andreas Kühn "allen Kollegen gewidmet, die für wenig Geld noch ihre Knochen für die DB AG und private Eisenbahnfirmen hinhalten dürfen, und denen, die trickreich aus dem Unternehmen Zukunft gemobbt wurden."
Damit ist das Haupthema der Erzählung schon benannt, die schleichende Zerstörung eines funktionierenden einheitlichen Verkehrssystems durch eine politsch gewollte Profit- und Börsenorientierung. Die Insidersicht auf die Absurditäten, die sich daraus ergeben, dass ein technisch unteilbares Ganzes willkürlich in betriebswirtschaftlich verschiedene Unternehmensbereiche aufgeteilt wird, ist besonders wertvoll. Diese Seite des somit systembedingten - und damit letztlich politisch gewollten und geplanten Chaos - wird von den Verantwortlichen in Politik und Chefetagen sonst nämlich gerne mit allerlei Propagandalügen vertuscht. Das kennen wir ja seit 3 Jahren beim Berliner S-Bahn-"Chaos" zu Genüge und die Paralellen zur traurigen Geschichte des Regionalverkehrs an der Ostsee sind kein Zufall.
Aber - und das läßt mich den Text Allen zum Lesen empfehlen als Alternative zur abendlichen Verblödung vor der Glotze - es handelt sich nicht um ein politische Schrift. Auch wenn Anderea Kühn zu vielen Fragen Stellung bezieht, es bleibt immer eine interessante Erzählung eines Arbeiters. Manchmal sehr gelungen wie der Anfang zur "guten alten Zeit" in der DDR, wo Lokführer noch ein anspruchsvoller und geachteter Beruf gewesen ist. Die Schwierigkeiten mit Parteibonzen und lustigen Erlebnisse mit der Stasi kommen ebenso zur Sprache, wie das schichtbedingte Scheitern der ersten Ehe. Die Suche nach den Schönheiten entlang der Strecke und Großereignisse wie der alljährliche Sonderzug zur Loveparade lockern den Berufsalltag auf. Von technischen Defekten, unangenehmen Zeitgenossen, verschleierten Unfällen bis hin zu überfahrenen Kühen und anderen Tieren erfahren wir einiges über den Beruf des Lokführers, was in keiner Stellenbeschreibung steht. Leider auch weniger lustige Ereignisse, wie Selbstmörder und tödliche Unfälle, Mobbing durch Vorgesetzte, um den Personalabbau voranzutreiben, kungelnde Gewerkschaften und Wendehälse, die die Kollegen immer weiter verkaufen und verraten und noch manches andere.
Gegen Ende schlägt der Zynismus von Andreas für meinen Geschmack zur sehr in die leider so weit verbreitete Frustration und Resignation um, aber das mag jede/R selbst beurteilen.
Der Text wurde veröffentlicht auf United Mutations Organization
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