Sie sind hier: Startseite Benutzer Deutsche Bahn Berliner S-Bahn Chronik einer endlosen Misere Offener Brief zur RBB-Berichterstattung über S-Bahn Unfall

Offener Brief zur RBB-Berichterstattung über S-Bahn Unfall

by Eisenbahner posted on 26.08.2012 12:28 last modified 26.08.2012 12:29

Nachfolgender Offener Brief kritisiert mit zahlreichen Fakten die oberflächliche und tendenziöse Berichterstattung des RBB anläßlich der entgleisten S-Bahn am 21.08.2012. Wer die Meinung des Lokführers M.S. vom "S-Bahn-Bashing" des RBB nicht teilt oder sonst seinen Kommentar dazu abegeben möchte, ist herzlich eingeladen, dies hier im Anschluß zu tun.

Sowohl in dem offenen Brief als auch der Berichterstattung des RBB (und in anderen Medien) wird auf den Unfall in Berlin-Karow 2009 eingegangen. Für Alle, die sich ernsthaft darüber informieren möchten, hier nochmal der Link zum Bericht Entgleisung mit Folgen! Netzwerk IT hatte damals die Nachrichtensperre und Versuche, den Hergang zu vertuschen, durchbrochen und letztlich eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die schließlich zum Eingreifen des Eisenbahn Bundesamts (EBA) geführt hat.

Die kritisierte RBB-Berichterstattung findet ihr hier

Offener Brief an den Rundfunk Berlin-Brandenburg

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit viel Befremden habe ich die gestrige Berichterstattung zur Entgleisung einer S-Bahn im Bahnhof Tegel verfolgt. Auch wenn sich ein Teil meiner Kritik auf die Sondersendung rbb spezial von 20:15 Uhr bezieht, so berührt meine Kritik an der Berichterstattung nicht nur sie als Abendschau, sondern den kompletten Nachrichtenbereich des rbb.

Was habe ich zu bemängeln?

Eine Entgleisung jedweder Art zieht immer das Interesse der Medien und des Publikums nach sich. Je nach Ausmaß des Unfalles hält sich das Interesse in Grenzen oder wird zum Hauptteil einer Nachrichtensendung. Der gestrige Vorfall darf sehr wohl in die zweite Kategorie gezählt werden. Dafür sind die Sendungen auch da, die Leute haben ein Anrecht, Informationen zum Vorfall zu erhalten. So weit so gut. Nicht so gut ist in meinen Augen (und auch vieler Kollegen und Freunde) war die Art der Berichterstattung. Das der Zugführer, der eigentlich ein Triebfahrzeugführer oder umgangssprachlich ein Lokführer ist, falsch betitelt wird, sei's drum. Bemerkenswert ist hier nur der dauerhafte Zustand, mit der diese fehlerhafte Floskel stets und ständig wiederholt wird.

Die Berichterstattung im Allgemeinen verdient aber ein besonderes Augenmerk: Man muß nicht Fan oder ähnliches der Berliner S-Bahn sein, um das latente S-Bahn-Bashing diverser Hauptstadtmedien, auch und insbesondere des RBB, fast immer zu bemerken. In den Augen vieler werden hier unreflektiert Aussagen getroffen, die mit ein wenig Recherche so nie über den Äther hätten laufen dürfen. Augenscheinlichstes Beispiel ist die Augenzeugenaussage einer Person, die sich z.T. auf Polizeiaussagen stützt, um schlußendlich festzustellen, daß "die S-Bahn (...) geschlampt" hat. Warum läßt man solche Aussagen kommentarlos bestehen? Weil dieser O-Ton so schön in das Bild der Nachrichtenredaktion passt?

Der von der Unfallstelle zugeschaltete Reporter redete dann von einer "Linie(...) die eigentlich stillgelegt ist" und über "diese Weiche gefahren, die eigentlich schon gar nicht mehr hätte in Betrieb sein dürfen." Wenn der Unfall wenige Stunden vorher geschehen wäre, dann wären die Aussagen geschenkt. Aber zwischen Unfall und Fernsehsendung lagen mehr als sieben Stunden, also doch Zeit genug, um sich entsprechend sachkundig zu machen. Wenn dann noch eine Aussage kommt, das der "Bahnhof Buddestraße" nun wieder angefahren werden könne, dann wird die Diskrepanz zwischen seriöser Berichterstattung und S-Bahn-Bashing fast mehr als überdeutlich. Oder hat sich der Reporter nicht ordentlich vorbereitet?

Das der Vertreter der IGEB zum Unfall nichts Sachdienliches zu sagen hat, wen verwundert es. Einzige Aussage, der ich mehr oder minder zustimme, ist die mangelhafte Unterrichtung der Fahrgäste. Abgesehen von diesem Fakt: muß man jeden vors Mikro holen, der nur irgendwo im entferntesten etwas zu sagen hat? Nur um den einen und anderen O-Ton zu bekommen? Wenn dann noch kurz vor dem Interviewende vom Reporter auf einen vermeintlichen S-Bahn-Unfall in Bln-Karow verwiesen wird, dann fällt einem fast schon gar nichts mehr dazu ein. Im übrigen fuhr damals an jenem 16.4.2009 eine Regionalbahn auf einen Güterzug auf.

Was sollte nach diesen sieben Minuten in der Abendschau noch kommen? War doch alles gesagt, oder? Leider nicht in den Augen des RBB. Warum man um 20:15 Uhr noch ein rbb-spezial ins Programm schob, ist mir völlig unverständlich. Nicht nur, weil es so berechenbar war (alte S-Bahn-Bilder ab 2009, diverse und immer wieder gezeigte Werkstattaufnahmen und immer wieder gern genommen: die S-Bahn-Unfälle der letzten Jahre), sondern auch, weil sich in den vergangenen 45 Minuten zwischen den Hauptnachrichtensendungen des RBB (Abendschau und Brandenburg aktuell) nicht wirklich Neues ereignet hat. Woher sollten denn auch die neuen Fakten kommen? Stattdessen wurden Falschaussagen (tote abgeschlossene Weiche) und gewisse Stereotype (totes Gleis Richtung Lübars, wo doch kein Gleis zu sehen ist, sondern nur das mit Schotter gefüllte Gleisplanum) wiederholt, die gleich zu Anfang von der unsachlichen Reporteraussage übertroffen wurden, daß ja zwei Züge auf der eingleisigen Strecke hätten zusammenstoßen können. Hätten? Ja klar, vielleicht. Aber doch nicht in diesem Zusammenhang und zu diesem Zeitpunkt, wo niemand etwas genaueres weiß. Die Aussage zeigt dann doch, wieviel technisches Unverständnis der Reporter von eisenbahn-sicherungstechnischen Zusammenhängen hat. Muß er die haben? Eher nein, aber er hatte über sieben Stunden Zeit, sich entsprechend zu informieren.

Das dann auch noch der Chef des VBB sozusagen den Lückenfüller für die Nichtpräsenz von S-Bahn-Sprecher bzw. Verantwortlichen spielt, erntet einmal mehr mein Unverständnis. Ohne konkrete Aussagen zum Unfallhergang hätte man sich diesen Auftritt ersparen und genausogut alte Zuschauerumfragen der Abendschau aus den 1960er und 1970er Jahren reinschneiden können. Es gab nichts zu sagen, aber 15 Minuten Sendezeit mußten ja nun gefüllt werden. Genauso unsinnig wie das Telefongespräch mit Herrn Hecht von der TU Berlin heute morgen auf Radio Eins, der auch nur mutmaßen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war die wahrscheinliche Unfallursache schon längst ermittelt worden. Wenn so der Expertenpool des RBB aussieht, dann werde ich meine Informationen demnächst von RTL II beziehen, da kostet mich der Schund wenigstens nichts und ich weiß im Vorfeld, das die Aussagen völlige Gurke sind ...

Tja und nun? Es war nur eine Entgleisung, aus Sicht eines Eisenbahners eine einfache Entgleisung, die zudem auch sehr glimpflich ablief. Und das ist auch gut so. Warum nun der RBB mit einer in meinen Augen überzogenen Berichterstattung sich seinen Fernsehabend gestaltete, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Liegt es am vermeintlichen Zuschauerinteresse, das man nur hat, wenn man gegen die S-Bahn schießt? Würde es keine S-Bahn-Krise geben, hätte es auch aller Wahrscheinlichkeit nach keine Sondersendung gegeben. So aber passt das ja gut ins Bild, wenn man dem Verkehrsmittel S-Bahn noch eine überziehen kann. Für all die ausgefallenen Züge der letzten Jahre. Rein sachlich betrachtet wird man in absehbarer Zeit feststellen, dass das eine (Entgleisung) nichts mit dem anderen (S-Bahn-Krise) zu tun hat. Aber wenn diese Aussage das Licht des Tages erblickt, wird keine Sondersendung den Inhalt der gestrigen Sendung wieder geraderücken.

Übrigens: Gab es denn auch ein rbb-spezial beim Zugunglück in Hosena vom 26.7.2012, bei dem ein Eisenbahner ums Leben kam? Oder plant man heute eine Sondersendung zum Familiendrama in Gatow?

Mit den besten Grüßen

M... S... Lokführer

(0) Kommentare