Die Scheinargumente der Betriebsratsmehrheit
Mit der Sonderinfo 10-2012 gibt der Betriebsrat am 3.8.2012 bekannt, dass er dem Verlangen von 1000 Kollegen nach einer Gesamtbetriebsversammlung nicht nachkommen wird. Im nachfolgenden Text werden die (Schein-)argumente der BR-Mehrheit unter die Lupe genommen.
Politik ist ein schmutziges Geschäft - doch wer es beherrscht, der hat die Macht. Das Sonderinfo 10-2012 ist ein Lehrstück für intelligent gemachte Propaganda. Keine hohlen Phrasen oder primitive Beleidigungen, sondern scheinbares Aufgreifen von Fragen und Argumenten, um die Leser mitzunehmen, so dass die eigene Position subtil als alternativlos erscheint und am Ende jeder denkt: der BR hat Recht.
Hat er zwar nicht, aber gegen diese ausgebuffte Politikpropaganda kommt die eher moralische Empörung und biedere Betroffenheit der KollegInnen vom Aktionsausschuss nicht wirklich an.
Da es bei der geplanten Zerschlagung um das Schicksal von 3200 S-BahnerInnen geht und nicht wie bei einer Talkrunde im Fernsehen darum, wer geschliffener rüberkommt, prüfen wir im folgenden die Argumente der BR-Mehrheit auf ihre Stichhaltigkeit.
Argument 1: Stell dir vor es ist Betriebsversammlung
Zunächst wird auf Seite 1 in einer anschaulichen Sprache beschrieben, was das Wortungetüm Gesamtbetriebsversammlung praktisch bedeutet. Die lockere Sprache dient vor allem einem Ziel: Zweifel zu sähen. Propagandistisch sehr gelungen wird der alte Slogan der 80er Jahre westdeutschen Friedensbewegung - Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin - zweckentfremdet. Damit und mit der Frage "Das klingt unwahrscheinlich?" wird das ganze Anliegen schon mal in Richtung linke Traumtänzer abgetan. Auch der Hinweis, dass der Versammlungsort "übrigens 3200 Personen Platz bieten müsste soll das Ganze als unseriös abtun. Die Gegenfrage na und? läuft ins Leere. Geschickt wird vermieden zu sagen, dass es keinen solchen Versammlungsort in Berlin gäbe. So bleibt man argumentativ unangreifbar und setzt doch seine subtilen Botschaften in den Köpfen der LeserInnen fest.
Argument 2: Aufmerksamkeit wäre uns gewiss
Zweimal wird auf Seite 1 darauf eingegangen, dass eine Gesamtbetriebsversammlung die Aufmerksamkeit der Medien und der Öffentlichkeit erregen würde. Das ist als Fakt natürlich richtig und ist von den AktivistInnen ja gerade gewollt. Hier wird es vom BR erst mal nur erwähnt, ohne darauf einzugehen, ob und warum man das gut oder schlecht findet. Durch die verwendeten Formulierungen und die Gestaltung der ersten Seite drängt sich dem LeserIn aber die Frage auf: Ist diese Aufmerksamkeit sinnvoll? Also wieder sind Zweifel gesäht.
Argument 3: Alle kommen - aber wie?
Zunächst malt man die Probleme der mühsamen Anfahrt zur Betriebsversammlung in schillernden Farben aus - Alle fahren, ggf. in UBK, mit dme Bus, der U-Bahn, dem Fahrrad zur Betriebsversammlung..." Ein klassiches Scheinargument, da es seine scheinbare Richtigkeit aus der Alltagserfahrung der BerlinerInnen bei Streiks im öffentlichen Nahverkehr aufgreift. Tatsächlich ist das natürlich Nonsens, denn ein williger Betriebsrat könnte mit Hilfe der KollegInnen die lang geplante Betriebsversammlung auch so organisieren, dass alle Kollegen problemslos z.B. mit Gewerkschaftsbussen oder per privatem Autokorso oder mit Betriebsfahrten der S-Bahn anreisen.
Argument 4: Alle kommen - oder?
Das "Oder" layout-mäßig hervorgehoben soll Zweifel wecken, damit der Leser das Ganze als Traumtänzerei abtut, noch bevor ein einziges Argument gebracht wird. Das wird erst auf der zweiten Seite - wieder in Frageform - getan. Was wäre, wenn niemand kommt? Dann wäre der BR als Gesprächspartner bloßgestellt und die Gegenseite würde ihn nie mehr ernst nehmen.
Wie viele wohl mitmachen, diese Zweifel hatte auch jeder der 1000 KollegInnen, die ihren Namen bei der Unterschriftensammlung preisgaben. Aber darum geht es doch nicht! Es gehört zum kleinen Einmaleins jedes Gewerkschafters, dass die Beteiligung an betrieblichen Protesten und Streiks immer von der vorher geschaffenen Mobilisierung abhängt. Es käme also auf die Mobilisierung an - und nicht auf die vorher auf 1 1/2 Seiten manipulativ erzeugte Stimmung, dass eine Gesamtbetriebsversammlung etwas ganz und gar Ungeheurliches sei!
Argument 5: Die S-Bahn bleibt stehen
Hier wird es richtig demagogisch. Zunächst behauptet der BR keine Vorstellung zu haben, wie diese Vorstellung in einem Dreischichtbetrieb umgesetzt werden soll - nur um vier Sätze später völlig richtig und fett herausgestellt zu schreiben: Die S-Bahn sollte also (nach dem Willen der Unterzeichner) während dieser Zeit stehen bleiben.
Also es geht doch, sogar ganz einfach: nämlich so wie bei den Banken oder im Handel, wo es früher auch keine Gesamtbetriebsversammlungen während den Öffnungszeiten gab und heute Hinweise im Schaufenster hängen: Wegen einer Personalversammlung öffnen wir erst um 12 Uhr.
Argument 6: Helfen negative Schlagzeilen?
Das Schöne an hypothetischen Suggestivfragen ist, dass sie nur eine Antwort zulassen, die man niemals an der Realität überprüfen kann. Fakt ist, das heute niemand sagen kann, mit welchen Tenor die Presse über einen Protest der S-Bahner berichten würde. Noch weniger ist klar wie die Bevölkerung auf eine negative Berichterstattung reagieren würden? Vielleicht fänden es ja hunderttausende BerlinerInnen, die selbst von outsourcing und Privatisierung betroffen sind, super, dass sich mal endlich jemand wehrt. Zugegeben - das ist genauso eine Spekulation wie die des BR's. Nur hat sie mit der Erfahrung von 70% Zustimmung in der Bevölkerung zum GDL-Streik 2009 nach 3 Monaten Gegenpropaganda immerhin eine gewisse Plausibilität hat.
Argument 7: Das Arbeitsgericht würde die Versammlung verbieten
Bekanntlich muss man sich nicht alles bieten lassen. Juristisch ist es allerdings totaler Quatsch, die Frage der Verhältnismäßigkeit zur Prüfung der Zulässigkeit von Streiks auf die gesetzlich garantierte Regelung bezüglich Betriebsversammlungen zu übertragen.
Aber selbst wenn man so auf die Justiz fixiert ist, wie unser BR, bleibt doch die große Unlogik bei diesem Scheinargument: Wieso verzichtet man auf etwas, nur weil es eventuell vom Arbeitsgericht verboten werden könnte? Für einen gesetzestreuen Gewerkschaftsfunktionär (und unsere BR's sind alle Gewerkschafter!) wird doch umgekehrt ein Schuh daraus: Man mobilisiert z.B. zu einem Warnstreik und wenn das Arbeitsgericht nein sagt, bläst man den Streik ab.
Argument 8: Rattenfänger
Im Kern wird im unteren Teil auf Seite 2 mit Unterstellungen gearbeitet ("Rattenfänger, Unruhe stiften, Vertrauen in BR missbraucht"), die nur deshalb 'plausibel' klingen, weil die allermeisten KollegInnen mit den Feinheiten des Betriebsverfassungsgesetzes nicht vertraut sind. Natürlich mussten die AktivistInnen ihr Anliegen in eine Form gießen, die es ermöglicht im Rahmen der Gesetze zu handeln. Deshalb die Forderung nach einer Information über die Ausschreibung durch den BR und einer Aussprache darüber. Und nicht, weil irgendjemand dem BR unterstellt, dass er bisher nicht informiert hätte.
Argument 9: Wir schaden nicht dem Betrieb
Vermutlich die einzig echte Aussage auf vier Seiten: Der Betriebsrat ist sich allerdings seiner Verantwortung bewusst und bemüht sich darum die Kolleginnen und Kollegen zu schützen und dem Unternehmen keinen Schaden zuzufüget." Der Betriebsrat als Ko-Manager, der die Interessen der DB vertritt - das ist zwar kein Argument, aber zumindest eine inhaltliche Position, die hier offen vertreten wird.
Argument 10: Der Besitzstand wird in der Ausschreibung garantiert
Wer über eine Seite Bleiwüste mit langweiligen Details über die rechtlichen Regelungen einer Ausschreibung zu Papier bringt, um zu seinem 'Argument' überzuleiten, der weiß, dass es unhaltbar ist. Die Festschreibung der Tarifverträge als Ausschreibungsbedingung ist mit EU-Recht unvereinbar. Aber selbst, wenn potentielle Bieter dem Wunsch der sozialdemokratischen Landesregierung nachkommen und dies freiwillig anbieten, bleiben viele Hintertürchen offen. So ist z.B. der Bundes-Lokführertarifvertrag nie für allgemeinverbindlich erklärt worden, wie viele KollegInnen bei kleineren Privatbahnen leidvoll erfahren mussten. Abgesehen davon, dass bei vielen outsourcing-Maßnahmen für die Altbelegeschaft der Besitzstand gewahrt wurde und anfangs nur Neueingestellte schlechter bezahlt wurden. Bis dann nach einer gewissen Zeit die Anpassung nach unten für Alle durchgezogen wird.
Propagandafazit: 100% S-Bahn oder Bahn-Ko-Manager?
Auf Seite 3 übernimmt der BR unverfroren das Motte des Aktionsausschusses und schreibt: "Der Betriebsrat fordert nach wie vor: Keine Zerschlagung der S-Bahn Berlin GmbH - 100% S-Bahn aus einer Hand"
Der Betriebsrat übernimmt damit wörtlich die Forderung der zuvor als Spinner, Traumtänzer und "Rattenfänger" denunzierten AktivistInnen. Er fordert das Richtige, aber er weigert sich, irgendetwas für die Durchsetzung dieser Forderung zu tun. Das würde ja dem Unternehmen schaden! Dann doch lieber als Ko-Manager darauf setzen, dass die DB sich an der Ausschreibung beteiligt und diese gewinnt. Dafür muss der BR dann allerdings nichts tun - außer verhindern, dass die KollegInnen selbst für ihre Interessen aktiv werden.